Direkte Demokratie? Gut für die Elite, schlecht für Minderheiten

27.02.2020
Kommentar

Gerade tagt die Flensburger Ratsversammlung. Eingangs wurde eine Einwohnerfrage beantwortet, bei der es vordergründig um Bürgerbeteiligung geht. Stadtpräsident Hannes Fuhrig antwortete:

Wie Sie selbst erläutert haben, ist gem. § 16 c der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein das Angebot einer Einwohnerfragestunde für öffentliche Sitzungen zwingend vorgeschrieben, für die Sitzungen der Ausschüsse handelt es sich hierbei um eine "Kann-Bestimmung", d. h. die Ausschüsse entscheiden im Rahmen ihrer inneren Organisation selbstständig, ob und welchem Umfang sie ein derartiges Instrument anbieten wollen.

Dennoch haben wir im Zuge der Überarbeitung der Geschäftsordnung diese Option fraktionsübergreifend in verschiedenen politischen Gremien intensiv diskutiert, aber am Ende stets mit großer Mehrheit in dieser Grundsätzlichkeit abgelehnt. Ein wesentlicher, aber nicht alleiniger, Grund dafür ist in der Tat der von Ihnen selbst erwähnte Zeitfaktor. Angesichts der Vielzahl und häufig auch der Komplexität von Themen und Tagesordnungspunkten sowie der mit acht vertretenen Fraktionen einhergehenden Meinungsvielfalt und entsprechendem Diskussionsbedarf zeichnet sich in letzter Zeit ohnehin ein Trend zu immer längeren Ausschusssitzungen ab. Dadurch ist schon jetzt die zumutbare Belastungsgrenze für unsere ehrenamtlich tätigen Kommunalpolitiker nicht gerade selten erreicht, gelegentlich auch überschritten.

Unabhängig davon kann auch heute schon jeder Ausschuss gem. § 12 der Geschäftsordnung für sich beschließen zu Tagesordnungspunkten Sachkundige sowie Einwohner, die vom Gegenstand der Beratung betroffen sind, anzuhören. Andere Personen können ggf. in einer Sitzungsunterbrechung gehört werden. Von diesen Optionen wird auch regelmäßig Gebrauch gemacht.

Es bestehen also auch ohne eine  in der Geschäftsordnung fest verankerte Verpflichtung zur Durchführung einer Einwohnerfragestunde in Ausschusssitzungen ausreichend Möglichkeiten für die Einwohnerinnen und Einwohner sich ggf. mit Fragen, Anregungen und Kritik mit ihrem Potenzial und ihren Ressourcen einzubringen. In diesem Kontext möchte ich auch gerne nochmals daran erinnern, dass es zum Wesen einer repräsentativen Demokratie gehört, dass die vom Volk - auf Zeit - gewählten Volksvertreter, in diesem Fall durch die Kommunalwahl 2018, und nur diese das Volk repräsentieren und Entscheidungen stellvertretend für die Wähler zu treffen und dabei selbstverständlich deren Willen angemessen zu berücksichtigen. Die hier vertretenen Fraktionen und ihre Mitglieder sind auf der Homepage der Stadt und im Ratsinformationssystem zusammen mit Kontaktmöglichkeiten veröffentlicht, so dass eine Interessenvertretung im besten Sinne dieser repräsentativen Demokratie jederzeit angefragt werden kann.

In diesem Sinne erfolgt die politische Arbeit hier in Flensburg tagein tagaus in den zuständigen Fachausschüssen. Dabei können Einwohnerfragestunden helfen Fragen zu klären und auch Anregungen und Kritik zu äußern, aber sie sind nicht der richtige Weg politische Debatten zu eröffnen oder inhaltlich zu beeinflussen.

Der Respekt vor Politik bleibt nur bestehen, wenn kritische Entscheidungen gemeinsam mitgetragen und gemeinsame Grundverständnisse und Haltungen entwickelt werden. So bildet sich Vertrauen und die Grundlage dafür, dass das Ehrenamt der Gemeindevertretung, also unserer Ratsversammlung und ihrer Ausschüsse, auch in Zukunft attraktiv bleibt. Parallele bzw. dazu konkurrierende Verfahren haben da keinen Platz.

In Ihrer Einleitung zu Ihren Fragen unterstellen Sie der Politik, die Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung auf das absolute Minimum einzuschränken. Gerne möchte ich deshalb an dieser Stelle ergänzend zu der formalen Antwort in dieser gegebenen Öffentlichkeit ausdrücklich betonen: Das Gegenteil ist der Fall und das gilt auch für die anstehende Überarbeitung der Geschäftsordnung. Es gibt einen breiten Konsens in der Ratsversammlung, die politische Teilhabe der Menschen in unser Stadt zu stärken. Nicht zuletzt deshalb wurden auf meine Initiative hin zwei Arbeitskreise ins Leben gerufen, die mit dem Ziel die Attraktivität der Kommunalpolitik zu steigern, beauftragt sind weitere Optionen für eine bessere Einbindung der Flensburger Einwohner und auch für eine höhere Wahlbeteiligung zu entwickeln. Beide Arbeitskreise befinden sich bereits auf der Zielgeraden und werden in Kürze mit pragmatischen Vorschlägen aufwarten, die dann in die politische Diskussion gehen.

Unabhängig davon gibt es bereits heute eine Vielzahl von niederschwelligen Beteiligungsmöglichkeiten für unsere Einwohnerschaft. Als erste Anlaufstelle ist hier sicherlich unsere Koordinierungsstelle für Engagement und Beteiligung zu nennen, die jedem Interessierten gerne mit Informationen zu den unterschiedlichen Beteiligungsmöglichkeiten zur Verfügung steht. Die Stadt Flensburg hat sich selbst eine Richtlinie zur Einwohnerbeteiligung gegeben, durch welche eine klare Struktur für die dort zu leistende Arbeit vorgegeben wird. Auch das Ideen - und Beschwerdemanagement der Stadt berät, informiert und schlichtet in den unterschiedlichsten Fällen und kann bei Bedarf eine Verbindung zu den richtigen Ansprechpartnern vermitteln. Nicht zuletzt möchte ich auch auf die regelmäßigen Sprechstunden bei der Oberbürgermeisterin und bei mir hinweisen. Weitere Informationen zu den von mir soeben aufgezählten Instrumenten sind natürlich auch auf der Homepage der Stadt Flensburg zu finden.

Fazit: Die Beteiligungsmöglichkeiten für unsere Einwohnerschaft sind sehr vielfältig und für Ihre politischen Repräsentanten in Flensburg von großer Bedeutung. Ich danke Ihnen für Ihr politisches Interesse und möchte Sie abschließend gerne ermuntern, sich mit Ihrem Engagement direkt in einer Partei, Wählergemeinschaft oder Fraktion in Flensburg einzubringen. Denn dort findet grundgesetzlich verankert vorrangig die politische Willensbildung statt.

Im Vorwege wurde durch den Fraktionsvorsitzenden von "Flensburg wählen" verlautbart, diese Antwort sei nicht konsensual, denn seiner Fraktion fehlten noch Elemente direkter Demokratie (Direkte Demokrate = unmittelbare Abstimmung der Wahlberechtigten zu Sachfragen).

Diesem Ansinnen möchte ich vehement widersprechen. Als schlimmste Wirkung einer statischen Volksabstimmung nehme ich den Brexit wahr. Aber es gibt auch ganz konkrete Argumente gegen direkte Demokratie:

„Direkte Demokratie“ bringt keinen Freiheitsgewinn für das Volk: Wer meint, Bürger hätten durch direkte Demokratie unmittelbaren Einfluss und wären deshalb freier, liegt völlig falsch. Die Plebiszite sind nur für die Initiatoren, die die Abstimmungsfrage formulieren, und für die Abstimmenden, die sich mit dem Begehren vollständig identifizieren, ein Freiheitszugewinn. Die Stimmberechtigten haben keinen Einfluss auf eine Fortentwicklung der Abstimmungsfrage.

„Direkte Demokratie“ begünstigt die Exklusion bestimmter sozialer Gruppen und Milieus: Sowohl bei der Initiative zur Einleitung eines „direktdemokratischen“ Verfahrens als auch in der Abstimmung dominieren Angehörige bildungsnaher und wohlhabender Schichten. Das Parlament bietet demgegenüber einen festen institutionellen Rahmen für gesamtgesellschaftliche Willensbildungsprozesse. Zudem sind an der Wiederwahl interessierte Mandatsträger geneigt, sich möglichst breit mit der Gesellschaft zu vernetzen.

Bei der „direkten Demokratie“ bleiben Verantwortlichkeit und Gemeinwohlorientierung auf der Strecke: Erweisen sich plebiszitär zustande gekommene Entscheidungen als falsch, können die Initiatoren oder die Abstimmenden nicht zur Verantwortung gezogen werden. Vielmehr muss das Parlament korrigierend eingreifen. Unter diesen Bedingungen besteht kein nachhaltiger Zwang zur Gemeinwohlorientierung bei den Initiatoren von Plebisziten und bei den Abstimmenden. Wer sich von direkter Demokratie zudem eine befriedende Wirkung verspricht, irrt. Das Plebiszit setzt zwar einen Schlusspunkt unter eine politische Auseinandersetzung. Mit den plebiszitären Elementen geht jedoch eine Polarisierung einher, die nicht geeignet ist, unausgefochtene Diskussionen zu beenden.

Das Ratsmitglied Ritter (Ausschluss aus der Linke-Fraktion wird offenbar angestrebt) erhob abschließend das Wort, um sich von dem von Stadtpräsident Hannes Fuhrig Vorgetragenen zu distanzieren.